Betreuung Wahlrecht
Neues Betreuungsrecht ab 2023
Bundestag und Bundesrat haben im März 2021 das Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts verabschiedet. Die Bundesvereinigung Lebenshilfe hat Nachbesserungen gefordert . Von diesen wurden viele umgesetzt. Das Gesetz wird am 1. Januar 2023 in Kraft treten.
Zum neuen Betreuungsrecht zu den guten Informationen der Bundesvereinigung Lebenshilfe hier ...
Übersicht: Gesetzliche Betreuung (intakt.info)
Hier eine hervorragende Übersicht zur gesetzlichen Betreuung von intakt.info ...
Rechtliche Betreuung
[zitiert aus der hervorragenden Broschüre: "Mein Kind ist behindert – diese Hilfen gibt es" (Neuauflage 03/2018, BVKM e.V.), S. 53 f.]
"Unter rechtlicher Betreuung ist die rechtliche Vertretung eines erwachsenen Menschen zu verstehen. Geregelt ist die rechtliche Betreuung im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB).
Mit der Vollendung des 18. Lebensjahrs wird man in Deutschland volljährig. Das bedeutet, dass man ab diesem Zeitpunkt grundsätzlich alle Rechte und Pflichten eines Erwachsenen hat und für sein Handeln selbst verantwortlich ist. Eine der wichtigsten Rechtsfolgen, die hiermit verbunden ist, ist das Erlangen der Geschäftsfähigkeit. Das ist die Fähigkeit, wirksam Rechtsgeschäfte ab-schließen zu können, wie beispielsweise Arbeits-, Kauf- oder Mietverträge.
Ist ein volljähriger Mensch aufgrund einer Behinderung nicht in der Lage, seine Angelegenheiten ganz oder teilweise selbst zu besorgen, bestellt das Betreuungsgericht für ihn einen rechtlichen Betreuer. Die Bestellung darf nur für die Aufgabenkreise erfolgen, in denen eine Betreuung erforderlich ist. Ist ein erwachsener behinderter Mensch beispielsweise einerseits imstande, sein Geld selbst zu verwalten, andererseits aber nur eingeschränkt in der Lage, notwendige Arztbesuche wahrzunehmen, wird die Betreuung lediglich für den Aufgabenkreis der Gesundheitsfürsorge, nicht aber für den Aufgabenkreis der Vermögenssorge bestellt. Der Betreuer vertritt den behinderten Menschen in den Aufgabenkreisen, für die er bestellt worden ist gerichtlich und außergerichtlich."
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"Der behinderte Mensch hat ein Vorschlagsrecht, wer die Betreuung für ihn übernehmen soll. Diesem Vorschlag soll das Gericht entsprechen, wenn es dem Wohl des Betreuten nicht zuwider-läuft. Schlägt er niemanden vor, sind vorzugsweise Angehörige wie Eltern, Kinder oder Ehegatten zu bestellen, wenn dies nicht dem Willen des Betreuten widerspricht."
Artikel zur Bundestagswahl 2021: Wählen mit geistiger Behinderung (taz)
"Wählen mit geistiger Behinderung: Herr Winkel hat die Wahl
Viele Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung durften bisher nicht wählen. Klaus Winkel hat zehn Jahre dafür gekämpft – nun ist es so weit."
"Saugut. Das sagt Klaus Winkel, wenn man ihn fragt, wie es ist, wählen zu können. Klaus Winkel ist 52 Jahre alt und dies ist die erste Bundestagswahl, bei der er seine Kreuze machen darf. 34 Jahre lang durfte Klaus Winkel nicht mitentscheiden."
Guter Artikel zur Bundestagswahl 2021, taz, 24.9.2021 ...
Wahlausschluss bei Betreuung "in allen Angelegenheiten" ist widerrechtlich!
Endlich volles Wahlrecht bei gesetzlicher Betreuung
Das Wahlrecht für Menschen mit gesetzlicher Betreuung war bis Januar 2019 davon abhängig, ob er/sie eine vollumfängliche Betreuung in allen Angelegenheiten hatte oder ob (ggf. alle) Bereiche einzeln in der Betreuungs-Urkunde aufgeführt waren. In letzterem Falle blieb das Wahlrecht erhalten.
Die Bundes-Lebenshilfe informiert (Newsletter, 21.2.2019):
"... das Bundesverfassungsgericht hat entschieden: Die Wahlrechtsausschlüsse für Betreute in allen Angelegenheiten und wegen Schuldunfähigkeit untergebrachte Straftäter sind verfassungswidrig. Heute wurde der Beschluss vom 29. Januar 2019 veröffentlicht.
Mehr als 85.000 Menschen mit Behinderung durften bisher bei Bundestagswahlen nicht wählen. Mit dieser Diskriminierung ist jetzt Schluss. Das ist ein guter Tag für Menschen mit Behinderung und ein guter Tag für unsere Demokratie.
Das Bundesverfassungsgericht folgt damit den Argumenten der acht Beschwerdeführer, die mit der Unterstützung der Bundesvereinigung Lebenshilfe und des Bundesverbandes Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie (CBP) gegen die Wahlrechtsausschlüsse Beschwerde eingelegt hatten.
Die Wahlrechtsauschlüsse verstoßen gegen den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl und das Benachteiligungsverbot aus dem Grundgesetz. Das bedeutet nun, alle Menschen mit Behinderung dürfen bei der nächsten Bundestagswahl wählen. Damit dies auch für die Europawahl gilt, muss der Gesetzgeber jetzt sehr schnell handeln."
Tolle Nachricht für die bisher 81.000 Menschen mit gesetzlicher Betreuung "in allen Angelegenheiten"!
Hier auch die Pressemeldung der Bundesvereinigung Lebenshilfe ...
Dies war geltendes Recht bis Januar 2019:
Das (aktive und passive) Wahlrecht steht uns allen zu gemäß Grundgesetz (Art. 38 GG). Das Bundeswahlgesetz und das Europawahlgesetz schließen aber alle Menschen pauschal vom Wahlrecht aus, wenn eine gesetzliche Betreuung "in allen Angelegenheiten" besteht.
Die Bundesregierung hat 2016 eine Studie zum aktiven und passiven Wahlrecht von Menschen mit Behinderungen durchgeführt, die zeigt, dass knapp 85.000 Menschen vom Wahlrecht ausgeschlossen sind wegen gesetzlicher Betreuung in allen Angelegenheiten (oder weil sie wegen einer Straftat bei Schuldunfähigkeit in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht sind).
Dieser Ausschluss vom Wahlrecht ist nicht zu rechtfertigen, er steht im Widerspruch zur UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UNBRK), die seit 2009 in Deutschland geltendes Recht ist.
Artikel 29 der UN-BRK sagt, dass Menschen mit Behinderungen ihre politischen Rechte, insbesondere das Wahlrecht, gleichberechtigt mit anderen wahrnehmen können.
Weder der Wahlrechtsausschluss als automatische Rechtsfolge einer Betreuung in allen Angelegenheiten noch als Folge einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (strafrechtliche Maßregel) ist mit diesen menschenrechtlichen Vorgaben vereinbar.
Weitere Informationen findet Ihr hier ...
Behindertenbeauftragter fordert Wahlrecht für alle
Jürgen Dusel - Bundesbehindertenbeauftragter der Bundesregierung - forderte am Internationalen Tag der Menschen mit Behinderung 2018 (3.12.2018) das Wahlrecht für alle:
"In Deutschland können derzeit ungefähr 85.000 Menschen nicht wählen, davon 81.000, die eine Betreuung in allen Angelegenheiten zur Seite gestellt bekommen haben”. Diese Menschen seien aber geschäftsfähig, darunter viele Menschen, die in Werkstätten für Menschen mit Behinderung tätig sind.
In sieben Bundesländern können diese Menschen inzwischen wählen, aber nicht auf Bundesebene und nicht bei der Europawahl.
Jürgen Dusel: „Es ist nicht akzeptabel, dass diese Menschen - ohne Prüfung des Einzelfalls - auf Bundesebene nicht wählen können.” Das zeige ein völlig anachronistisches Menschenbild. „Wir müssen das Wahlrecht unbedingt noch vor der Europawahl im nächsten Jahr ändern.”
(Quelle: Main-Post, 3.12.2018)
Weiterer Beitrag von Jürgen Dusel zum Wahlrecht für Menschen mit Behinderungen hier:
Süddeutsche Zeitung, 11. Februar 2019
Außenansicht
Wer darf wählen - und wer nicht?
Jürgen Dusel, Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen